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Ein letzter Besuch im Osnabrücker Gefängnis vor der Räumung und dem Abriss

Einblicke in den Knast am Kollegienwall


Foto des engen, auf der einen Seite durch die Außenmauer und auf der anderen Seite durch das Gebäude begrenzten Freistundenbereiches, auf dem die Gefangenen den Aufenthalt im Freien durchführen können. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
So sieht er aus, der Innenhof für die Freistunden der Gefängnisinsassen mitten in Osnabrück. Bald wird das 144 Jahre alte Gebäude abgerissen – und dann wird alles anders.
Neue Osnabrücker Zeitung vom 14.11.2020; Sandra Dorn

Osnabrück Wenn es regnet, müssen die Mitarbeiter des Osnabrücker Gefängnisses im Dachgeschoss Eimer und Fässer aufstellen, denn das Dach ist undicht. Auch in punkto Sicherheitstechnik ist der 144 Jahre alte Bau zwischen Amts- und Landgericht völlig veraltet. Noch leben dort 36 Häftlinge, doch sehr bald wird er abgerissen.

"Coca Cola" steht auf der alten holzumrahmten Uhr, die in der Aufnahmekammer an der Wand hängt. Wenn ein neuer Gefangener den Raum betritt, steht er direkt vor einem Tresen und könnte sich in einem Partyraum aus den 1970er-Jahren wähnen, in dem nur der Zapfhahn fehlt.

Foto, auf dem der Anstaltsleiter Meik Portmann hinter einem Tresen in der sogenannten Kammer zu sehen ist. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Anstaltsleiter Meik Portmann in der Aufnahmekammer

Es ist ein Raum wie aus der Zeit gefallen mit seinen holzvertäfelten Dachschrägen und seinem Holzmobiliar - fast schon gemütlich. Aber wer hier hinein muss, für den wird es ernst. In der Kammer findet die Aufnahme statt, und hinter dem Tresen steht ein Justizvollzugsbeamter, der dem Untersuchungshäftling seine persönlichen Gegenstände abnimmt. Danach geht es für den Häftling durch ein enges Treppenhaus in eine Zelle, die von innen keine Klinke hat.

Foto, dass einen Einzelhaftraum zeigt. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Haftraum

Es ist ein Zuhause auf Zeit, bis zum Urteil des Gerichts. Das kann relativ schnell über die Bühne gehen. Bei längeren Verfahren verbringen die Gefangenen aber durchaus auch mehrere Monate im Osnabrücker Untersuchungsgefängnis, einem Ableger der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lingen.

Außenansicht des Osnabrücker Hafthauses. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Hafthaus der Abteilung Osnabrück in der Außenansicht

Die Uhr in der Aufnahmekammer, die alten Holzmöbel, die Holzvertäfelung: All das kommt weg. Bald wird das Osnabrücker Gefängnis, gebaut in den Jahren 1876 bis 1880, abgerissen und macht Platz für ein neues Justizzentrum, das Landgericht und Amtsgericht verbinden wird. Untersuchungsgefangene werden dann / nicht mehr in einem separaten Gebäude untergebracht sein, sondern in den oberen drei Etagen. Die unteren zwei sind Verwaltungsräumen vorbehalten. Das schafft Platz für die Gerichte, aber auch mehr Komfort für die Gefangenen und wird in dieser Kombination einzigartig in Europa sein, sagt Meik Portmann, Leiter der JVA Lingen.

Foto des Treppenhauses. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Treppenhaus

Alles veraltet

Portmann ist heilfroh darüber, dass der alte Kasten mit all seinen Unzulänglichkeiten bald Vergangenheit ist. "Es funktioniert, aber faktisch ist das Gebäude einfach nicht mehr zweckmäßig." Das fängt bei der Sicherheitstechnik an und hört bei der mangelnden Barrierefreiheit auf. Bringt die Polizei auf Weisung des Gerichts einen frisch Festgenommenen vorbei, muss die JVA ihn aufnehmen. Falls der Betroffene allerdings im Rollstuhl sitzt, ist das ein Problem. Die einzige Verbindung zwischen den Stockwerken, in denen sich die Hafträume befinden, ist ein enges Treppenhaus.

Foto des Vollzugsabteilungsleiters Volker Mertens im Stationsflur. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Vollzugsabteilungsleiter Volker Mertens

Auch alles Material, das für die Versorgung der Häftlinge benötigt wird, müssen die Mitarbeiter dort hinauftragen, denn oben im dritten Stock befindet sich die Eigentumsverwaltung der Gefangenen. "Wenn man in neueren Anstalten ist, sieht man, womit wir uns hier behelfen", sagt Volker Mertens.

Seit 1999 ist der Vollzugsabteilungsleiter und Sozialarbeiter im Osnabrücker Gefängnis beschäftigt. Unter dem maroden Dach werden die baulichen Mängel auf den ersten Blick deutlich.

Foto, dass Schäden am Mauerwerk zeigt. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Schäden am Mauerwerk

Wasserflecken an den Wänden lassen erahnen, wie es hineintropft, wenn es regnet. An manchen Wänden fließe das Wasser an Regentagen nur so herunter, sagt Mertens.

Foto, dass zeigt, wie der Putz im Mehrzweckraum abblättert. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Der Putz im Mehrzweckraum blättert ab
Das Foto zeigt einen alte Schließanlage. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Alte Schließanlage

Keine moderne Schließanlage

Zum Auf- und Zuschließen der vielen Türen verwenden die Mitarbeiter immer noch große Schlüssel, die sie an einer langen Kette mit sich herumtragen. Ein Relikt aus alter Zeit ist auch die Stahlgittertür auf Station drei - das meistfotografierte Motiv des Gefängnisses. Sie ist nicht etwa Deko, sondern in voller Funktion.

Der Fußboden dahinter ist krumm und schief, beim Gehen haben selbst Nüchterne das Gefühl, ein wenig zu schwanken. "Ich bin gespannt, was da drunter ist", sagt Volker Mertens mit Blick auf den bevorstehenden Rückbau des Gebäudes aus der Preußenzeit. Auf zwei Ausbrüche in seinen mehr als 20 Jahren als Vollzugsabteilungsleiter muss Mertens zurückblicken. Einmal seien zwei Gefangene übers Dach entkommen und wieder gefasst worden, einmal entkam einer über den Innenhof, in dem die Häftlinge ihre Freistunden an der frischen Luft verbringen dürfen.


Foto, dass einen alten Zeitungsartikel über die Flucht eines Insassen mit selbstgebastelten Wurfanker zeigt. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Artikel über eine Flucht

Was aus ihm geworden, weiß Mertens bis heute nicht. Über den Freistundenhof ist übrigens ein Netz gespannt, damit Angehörige nichts hineinwerfen können - entsprechende Versuche gebe es immer wieder, berichtet Mertens.

Räumung steht kurz bevor

36 Gefangene verbringen im Osnabrücker Gefängnis aktuell noch ihre U-Haft und warten auf ihre Gerichtstermine. Nur Männer sind in Osnabrück inhaftiert. Ab dem 23. November werden die meisten von ihnen in die Außenstelle Groß-Hesepe der JVA Lingen ins Emsland verlegt, ein kleiner Teil wird auch direkt in Lingen landen. Und dann wird es kompliziert. Bis zur Fertigstellung des neuen Gebäudes müssen sie für die Gerichtstermine extra nach Osnabrück gefahren werden und zurück. Bislang beträgt die Distanz zwischen Gefängnis und Gericht durch einen muffigen Verbindungsgang im Keller etwa 100 Meter - künftig werden es 100 Kilometer sein.

Foto, dass eine Person im Kellergang zum Amts- und Landgericht zeigt. Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Im Keller

"2019 hatten wir 800 bis 900 Vorführungen vor Gericht", sagt Anstaltsleiter Portmann. Diese in den nächsten zwei bis drei Jahren pünktlich zu bewerkstelligen, werde eine logistische Herausforderung sein. Auch die 27 Mitarbeiter am Standort Osnabrück müssen sich auf ein Pendlerleben auf Zeit einstellen. Ein Teil von ihnen wird im offenen Vollzug an der Schinkelstraße eingesetzt, der Rest in Lingen. Portmann hofft, den Neubau 2023 pünktlich beziehen zu können.

Mehr Komfort im neuen Knast

Im neuen Gefängnistrakt in den Obergeschossen des künftigen Justizzentrums werden statt bislang 45 nur noch 40 Häftlinge untergebracht werden können. Sie haben dann deutlich mehr Platz und Komfort. Statt im gepflasterten Hof werden sie ihre Freistunden auf dem Dach verbringen - inklusive der Möglichkeit, dort Sport zu treiben, was momentan im Hof kaum möglich ist. Eine Toilette hat auch jetzt schon jeder Haftraum, im neuen Gebäude bekommt jede Zelle aber auch noch eine eigene Dusche. Nur eine Gefängnisküche - ein beliebter Arbeitsplatz für die Gefangenen - wird es nicht mehr geben. Die Mahlzeiten werden künftig von extern angeliefert.

Ein wenig Wehmut

Viele Erinnerungen stecken in dem alten Bau, sagt Vollzugsabteilungsleiter Volker Mertens. Gern hätte die Anstaltsleitung nach der Umquartierung der Gefangenen noch einen Tag der offenen Tür für die Öffentlichkeit oder gar einen Flohmarkt mit den alten Einrichtungsgegenständen veranstaltet. Corona hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Copyright by Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Breiter Gang 10-16 49074 Osnabrück Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung.

Foto, dass im Vordergrund Gitterstäbe und dahinterliegend die Anstaltsmauer mit Sicherheitsdraht auf der Mauerkrone zeigt; Suchsymbol Lupe   Bildrechte: JVA Lingen
Blick durch die Gitter

Artikel-Informationen

erstellt am:
30.11.2020

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