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erstellt am:
30.11.2020
Osnabrück Wenn es regnet, müssen die Mitarbeiter des Osnabrücker Gefängnisses im Dachgeschoss Eimer und Fässer aufstellen, denn das Dach ist undicht. Auch in punkto Sicherheitstechnik ist der 144 Jahre alte Bau zwischen Amts- und Landgericht völlig veraltet. Noch leben dort 36 Häftlinge, doch sehr bald wird er abgerissen.
"Coca Cola" steht auf der alten holzumrahmten Uhr, die in der Aufnahmekammer an der Wand hängt. Wenn ein neuer Gefangener den Raum betritt, steht er direkt vor einem Tresen und könnte sich in einem Partyraum aus den 1970er-Jahren wähnen, in dem nur der Zapfhahn fehlt.Es ist ein Raum wie aus der Zeit gefallen mit seinen holzvertäfelten Dachschrägen und seinem Holzmobiliar - fast schon gemütlich. Aber wer hier hinein muss, für den wird es ernst. In der Kammer findet die Aufnahme statt, und hinter dem Tresen steht ein Justizvollzugsbeamter, der dem Untersuchungshäftling seine persönlichen Gegenstände abnimmt. Danach geht es für den Häftling durch ein enges Treppenhaus in eine Zelle, die von innen keine Klinke hat.
Es ist ein Zuhause auf Zeit, bis zum Urteil des Gerichts. Das kann relativ schnell über die Bühne gehen. Bei längeren Verfahren verbringen die Gefangenen aber durchaus auch mehrere Monate im Osnabrücker Untersuchungsgefängnis, einem Ableger der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lingen.
Die Uhr in der Aufnahmekammer, die alten Holzmöbel, die Holzvertäfelung: All das kommt weg. Bald wird das Osnabrücker Gefängnis, gebaut in den Jahren 1876 bis 1880, abgerissen und macht Platz für ein neues Justizzentrum, das Landgericht und Amtsgericht verbinden wird. Untersuchungsgefangene werden dann / nicht mehr in einem separaten Gebäude untergebracht sein, sondern in den oberen drei Etagen. Die unteren zwei sind Verwaltungsräumen vorbehalten. Das schafft Platz für die Gerichte, aber auch mehr Komfort für die Gefangenen und wird in dieser Kombination einzigartig in Europa sein, sagt Meik Portmann, Leiter der JVA Lingen.
Alles veraltet
Portmann ist heilfroh darüber, dass der alte Kasten mit all seinen Unzulänglichkeiten bald Vergangenheit ist. "Es funktioniert, aber faktisch ist das Gebäude einfach nicht mehr zweckmäßig." Das fängt bei der Sicherheitstechnik an und hört bei der mangelnden Barrierefreiheit auf. Bringt die Polizei auf Weisung des Gerichts einen frisch Festgenommenen vorbei, muss die JVA ihn aufnehmen. Falls der Betroffene allerdings im Rollstuhl sitzt, ist das ein Problem. Die einzige Verbindung zwischen den Stockwerken, in denen sich die Hafträume befinden, ist ein enges Treppenhaus.
Auch alles Material, das für die Versorgung der Häftlinge benötigt wird, müssen die Mitarbeiter dort hinauftragen, denn oben im dritten Stock befindet sich die Eigentumsverwaltung der Gefangenen. "Wenn man in neueren Anstalten ist, sieht man, womit wir uns hier behelfen", sagt Volker Mertens.
Seit 1999 ist der Vollzugsabteilungsleiter und Sozialarbeiter im Osnabrücker Gefängnis beschäftigt. Unter dem maroden Dach werden die baulichen Mängel auf den ersten Blick deutlich.
Wasserflecken an den Wänden lassen erahnen, wie es hineintropft, wenn es regnet. An manchen Wänden fließe das Wasser an Regentagen nur so herunter, sagt Mertens.
Keine moderne Schließanlage
Zum Auf- und Zuschließen der vielen Türen verwenden die Mitarbeiter immer noch große Schlüssel, die sie an einer langen Kette mit sich herumtragen. Ein Relikt aus alter Zeit ist auch die Stahlgittertür auf Station drei - das meistfotografierte Motiv des Gefängnisses. Sie ist nicht etwa Deko, sondern in voller Funktion.
Der Fußboden dahinter ist krumm und schief, beim Gehen haben selbst Nüchterne das Gefühl, ein wenig zu schwanken. "Ich bin gespannt, was da drunter ist", sagt Volker Mertens mit Blick auf den bevorstehenden Rückbau des Gebäudes aus der Preußenzeit. Auf zwei Ausbrüche in seinen mehr als 20 Jahren als Vollzugsabteilungsleiter muss Mertens zurückblicken. Einmal seien zwei Gefangene übers Dach entkommen und wieder gefasst worden, einmal entkam einer über den Innenhof, in dem die Häftlinge ihre Freistunden an der frischen Luft verbringen dürfen.
Was aus ihm geworden, weiß Mertens bis heute nicht. Über den Freistundenhof ist übrigens ein Netz gespannt, damit Angehörige nichts hineinwerfen können - entsprechende Versuche gebe es immer wieder, berichtet Mertens.
Räumung steht kurz bevor
36 Gefangene verbringen im Osnabrücker Gefängnis aktuell noch ihre U-Haft und warten auf ihre Gerichtstermine. Nur Männer sind in Osnabrück inhaftiert. Ab dem 23. November werden die meisten von ihnen in die Außenstelle Groß-Hesepe der JVA Lingen ins Emsland verlegt, ein kleiner Teil wird auch direkt in Lingen landen. Und dann wird es kompliziert. Bis zur Fertigstellung des neuen Gebäudes müssen sie für die Gerichtstermine extra nach Osnabrück gefahren werden und zurück. Bislang beträgt die Distanz zwischen Gefängnis und Gericht durch einen muffigen Verbindungsgang im Keller etwa 100 Meter - künftig werden es 100 Kilometer sein.
"2019 hatten wir 800 bis 900 Vorführungen vor Gericht", sagt Anstaltsleiter Portmann. Diese in den nächsten zwei bis drei Jahren pünktlich zu bewerkstelligen, werde eine logistische Herausforderung sein. Auch die 27 Mitarbeiter am Standort Osnabrück müssen sich auf ein Pendlerleben auf Zeit einstellen. Ein Teil von ihnen wird im offenen Vollzug an der Schinkelstraße eingesetzt, der Rest in Lingen. Portmann hofft, den Neubau 2023 pünktlich beziehen zu können.
Mehr Komfort im neuen Knast
Im neuen Gefängnistrakt in den Obergeschossen des künftigen Justizzentrums werden statt bislang 45 nur noch 40 Häftlinge untergebracht werden können. Sie haben dann deutlich mehr Platz und Komfort. Statt im gepflasterten Hof werden sie ihre Freistunden auf dem Dach verbringen - inklusive der Möglichkeit, dort Sport zu treiben, was momentan im Hof kaum möglich ist. Eine Toilette hat auch jetzt schon jeder Haftraum, im neuen Gebäude bekommt jede Zelle aber auch noch eine eigene Dusche. Nur eine Gefängnisküche - ein beliebter Arbeitsplatz für die Gefangenen - wird es nicht mehr geben. Die Mahlzeiten werden künftig von extern angeliefert.
Ein wenig Wehmut
Viele Erinnerungen stecken in dem alten Bau, sagt Vollzugsabteilungsleiter Volker Mertens. Gern hätte die Anstaltsleitung nach der Umquartierung der Gefangenen noch einen Tag der offenen Tür für die Öffentlichkeit oder gar einen Flohmarkt mit den alten Einrichtungsgegenständen veranstaltet. Corona hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Copyright by Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Breiter Gang 10-16 49074 Osnabrück Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung.
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30.11.2020